Oper in der Bar

Oper in der Bar

 

Es war einmal… Mitten in der fast komplett abgedunkelten Gaswerk Eventbar Seewen. Nur auf die Bühne sind einige auserwählte Lichtkegel gerichtet. Auf der gegenüberliegenden Seite der Bühne – auf dem Balkon – sitzt ein 12-köpfiges Orchester. Mit kleinen, wie Glühwürmchen aussehenden und an den Notenständern montierten Lämpchen, werden die Noten der Musiker erhellt. Wie die Fühler einer Schnecke ragen sie hinter den Notenbüchern hervor. Das Orchester ist bereit. Bereit für die Generalprobe. Es soll geprobt werden, ob ein Durchlauf der Oper „La Cenerentola“ von Gioachina Rossini reibungslos abläuft.In einer Bar! Ohne Pausen – einmal durch. So, als ob es jetzt ernst gelten würde.So, als ob das Lokal ausgebucht wäre. Und im Zentrum, als Bindeglied zwischen Orchester und Opernsäger steht er: Der Dirigent. Direkt vor den dicht versammelten Musikern auf dem Balkon. Gut sichtbar auch von der Bühne aus. Langsam und kontrolliert erhebt er den Taktstock und sagt: „Also los, einmal durch.“ Er schlägt schwungvoll in die Luft: 1 – 2 – 3 – 4. Die rein instrumental gespielte „Ouverture“ beginnt. Ganz leise erklingen Cello und Kontrabass, die Dynamik steigert sich, und dann spielt das gesamte Orchester einen Akkord: Ta-daaaaaa!

 

Die Oper „La Cenerentola“ wird im Rahmen der Kulturschock-Konzertreihe in verschiedenen Lokalitäten aufgeführt. Als grosses Eröffnungsprojekt der 4. und 5. Kulturschock-Saison. Bereits im Herbst 2015 wurde eigens für die Eröffnung der 2. Kulturschock-Saison eine Oper einstudiert, welche unter grossem Andrang einen Erfolg feiern durfte. Die Gründungsmitglieder vom Verein Kulturschock haben sich zum Ziel gesetzt, kurze Konzerte an aussergewöhnlichen Orten zu veranstalten, um dadurch klassische Musik, sowohl jungen Leuten als auch Musik-Muffeln näher zu bringen. Die Organisatoren der Konzertreihe erklären, dass es früher öfter vorgekommen sei, dass Freunde nach einem klassischen Konzert sagten: „Ist ja eigentlich ganz schön, diese Musik.“ Allzu oft würden junge Leute aber nicht gerne sonntags um 17:00 Uhr ein klassisches Konzert in der Kirche besuchen. So kam es, dass die vier Kulturschock-Initianten den Spiess umdrehten: Nun bringen sie die klassische Musik zu den jungen Leuten in Bars und Clubs. „Bei einem kühlen Bier oder an einem Cocktail schlurfend, kann man sich gleichzeitig ein Konzert zu Gemüte führen.“ Dies bestätigten begeisterte junge Konzertbesucher an vergangenen Kulturschock-Events. „Das ist ein guter Anfang, um sich sogar mal eine Oper reinzuziehen,“ meinte ein Opern-Erstbesucher bereits vor drei Jahren. „…denn in ein Opernhaus hätte ich mich nie gewagt.“

 

Ta-daaaaaa! Ein weiteres Mal erklingt der Akkord in vollem Volumen. Während das Orchester leise weiter spielt, kann man auf der Bühne einen zeitungslesenden Mann erblicken. Eine als Magd gekleidete junge Frau betritt die Bühne und putzt. Die nur vom Orchester gespielte Ouvertüre neigt sich langsam dem Ende zu. Es folgen Stücke in denen die Sänger zum Zug kommen. Insgesamt sieben Sägerinnen und Sänger geben ihren Gesang zum Besten. Teilweise alle zusammen, teilweise alleine in Solo-Passagen. Zwischendurch wird vom zeitungslesenden Mann – dem Erzähler – in passenden Momenten erklärt, was in der auf der Bühne inszenierten Geschichte passiert. Schaut man ganz genau hin, bemerkt man, dass alle Abläufe, jeder Einsatz und vor allem das Tempo jedes einzelnen Stückes koordiniert wird durch den Dirigenten. Die Blicke der Sänger reichen von der Bühne hinauf zum Balkon. Das gesamte Orchester orientiert sich mit immer wiederkehrenden, kurzen Momenten des nach vorne Schauens am Schlag dieses einen Dings. Am Schlag des in dieser einen Hand liegenden Taktstockes. Es scheint, er ist es, der alles zusammen hält. Alle Augen sind auf ihn gerichtet. Nicht permanent, aber so oft wie möglich. Er gibt den Takt an. 1 – 2 – 3 – 4. Als Bindeglied zwischen Sänger und Musiker. Als Kit der alles zusammen hält.

 

Bezüglich Handlung der Geschichte passiert auf der Bühne mittlerweile so einiges. Kurz gefasst, wird im Grunde genommen das Märchen Aschenputtel komplett neu, fetzig und unkonventionell erzählt. Aschenputtel – die als Magd gekleidete junge Frau – ist schwanger. Die böse Stiefmutter ist ein Stiefvater. Es gibt keinen Schuh der verloren geht. Der Erzähler leitet durch gewisse Passagen, in denen nicht gesungen wird. Mittels Hellraumprojektion wird der italienische Operngesang in ein spritziges Deutsch übersetzt, sodass man das Ganze auch als nicht italienisch-sprachige Person versteht. Die Oper wurde vom Regisseur sowohl exklusiv zugeschnitten auf ein junges Publikum als auch auf die verschiedenen Locations und soll auch für sogenannte Opern-Muffel ein Erlebnis versprechen.

 

Leise beginnen die Orchester-Musiker das letzte Stück zu spielen. Etwas scheint nicht zu stimmen! Verwirrte Blicke kreisen auf der Bühne zwischen den Sängern. Die Sänger singen nicht, obwohl es offenbar an der Zeit wäre. Der Dirigent ruft: „Abbruch! Dieses Stück nochmals von vorne.“ In der Generalprobe kann so etwas offenbar passieren. Ein kurzer Zwischenruf, eine Korrektur, ein Abbruch, eine Wiederholung. Aber bei der Aufführung. Da muss dann alles sitzen. Die Stimmung wirkt für einen kurzen Moment etwas angespannt. In den Gesichtern der Mitwirkenden kann man die Müdigkeit nach fast 1.5 Stunden Musik erkennen. Und trotzdem spürt man, wie die letzte Konzentration hervorgerufen wird. Noch einmal tief einatmen. Augen zu – und durch. Es geht weiter – mit dem grossen Finale. Im letzten Stück sind nochmals alle auf der Bühne. 1 – 2 -3 – 4. Alle singen, alle spielen – pünktlich auf den Schlag des Dirigenten. Rassig und fröhlich geht es zu und her auf der Bühne. Die Sänger geben alles. Der Gesang im Raum erklingt so laut, als ob jeder einzelne der sieben Sängerinnen und Sänger ein Mikrofon vor sich hätte. Ein pompöses Schlussszenario. Jubel auf der Bühne. Alles scheint gut. Und dann: Ta-daaaaaa! Der Schlussakkord erklingt. Die Oper an ihrem Ende. Einige Stellen müssen noch geprobt werden. Doch eigentlich sind sie bereit, denn: Wenn sie nicht gestorben sind, dann musizieren und singen sie noch immer.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert