Luxor – 20 Jahre danach

Luxor – 20 Jahre danach

 

Ich betrete das Gelände, den Ort in Luxor, an dem vor etwas mehr als 20 Jahren 58 Menschen ihr Leben lassen mussten: Den Hatschepsut Tempel. Meine Gedanken spielen verrückt, ich habe ein mulmiges Gefühl. Mein Magen zieht sich zusammen. Unzählige Fragen schiessen durch meinen Kopf: Kann so etwas nochmals passieren? Genau an diesem Ort? Was wäre wenn? Wie würde ich reagieren? Gäbe es eine Möglichkeit des Entkommens? Von etwas Distanz betrachte ich das Areal, beobachte genau wer/wie/wo steht. Etwa 100 Meter von der eigentlichen Sehenswürdigkeit entfernt, befindet sich der Eingangsbereich. Die Kontrolle. Insgeheim bin ich froh über diese Kontrolleure und Polizisten, denn diese Leute sollen mich beschützen. Doch sie tragen Waffen. Grosse und kleine Waffen, deren Namen ich nicht genau kenne. Bei deren Anblick werde ich sogleich wieder verunsichert. Mein Magen zieht sich zusammen. Ich habe ein mulmiges Gefühl.

 

Erst kürzlich war es genau 20 Jahre her, seitdem diese grausame Tat geschehen ist. In vielen Medien habe ich mich darüber informiert. So konnte ich in der NZZ lesen, dass genau an diesem Eingangsbereich am 17. November 1997 um 09:00 Uhr sechs Männer ihre Waffen – dabei soll es sich um Messer und Kalaschnikows gehandelt haben – aus den mitgeführten Taschen auspackten. Sie sollen die Kontrolleure, ohne mit der Wimper zu zucken, erschossen haben. Polizisten waren jedoch keine vor Ort. An jenem Morgen war eine Gruppe von Touristen aus der Schweiz bereits bei der kolossalen Tempelanlage eingetroffen. Sie wollten noch vor der heissen Mittagssonne die Sehenswürdigkeit bestaunen. Die Täter sollen nach passieren des Eingangsbereichs über mehr als eine halbe Stunde den Tempel besetzt und alle Touristen, die sich vor Ort befanden brutal ermordet haben. Sie schossen und massakrierten schonungslos. Verunstaltet bis zur Unkenntlichkeit liessen sie die getöteten Touristen zurück. Darunter 36 Schweizerinnen und Schweizer. Im aufgeschlitzten Bauch eines japanischen Touristen sollen sie einen Bekennerbrief zurückgelassen haben. Sie hätten als Vertreter der Gruppierung „al-Jamaa al-islamiya“ – einer in Ägypten seit den 1970er-Jahren aktiven, gewalttätigen islamistischen Gruppierung – gehandelt. Schwer verletzt blieben einige Überlebende liegen, bis die Täter meinten, sie hätten alle tödlich erfasst. Keine Sicherheitskräfte seien eingetroffen, über mehr als eine halbe Stunde. Die Täter hatten freie Bahn. Sie verliessen das Gelände erst nach fast 45 schrecklichen Minuten des todbringenden Horrors.

 

Ich bewege mich langsam auf den Tempel Hatschepsut zu. Die grosse Rampe die hinauf führt in die Tempelanlage hinein, scheint frisch renoviert. Beim Rundgang fällt auf, dass viele Bereiche gar nicht – oder nicht mehr – zugänglich sind. Und überall hier soll alles voller Blut gewesen sein? Genau hier sollen vor rund 20 Jahren 58 Menschen ihr Leben auf einen Schlag verloren haben? Ich habe ein mulmiges Gefühl. Mein Magen zieht sich zusammen.

 

Direkt nach dem schlimmen Massaker seien die Täter geflüchtet. Sie sollen von der Polizei in einer Höhle tot aufgefunden worden sein. Und trotzdem: Vieles blieb ungeklärt. Auch in der politischen Beziehung zwischen der Schweiz und Ägypten. Die ägyptische Regierung hat sich bis heute nie bei der Schweiz entschuldigt. Die Schweiz wurde an diesem Tag im Herzen getroffen, indem 36 Staatsbürgerinnen und Staatsbürger ihr Leben lassen mussten. Es war Zufall, dass dieser Reisebus mit Schweizer Touristen an diesem frühen Morgen bereits da war. Doch vor Ort gibt es keine Gedenkstätte mit den Namen der Opfer.

 

Langsam verlasse ich das Areal. Noch immer kreisen meine Gedanken um dieses Attentat. Um alle Bilder in meinem Kopf. Alle Informationen die ich mir im vornhinein geholt habe. Und noch immer habe ich ein mulmiges Gefühl. Mein Magen zieht sich zusammen bei jedem Gedanken daran. Und gleichzeitig wird mir bewusst: Hätte ich die ganzen Informationen nicht schon zuvor gelesen, gehört und gesehen – so würde vor Ort nichts mehr an dieses unglaublich grausame Massaker erinnern.

 

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